Wenn man Laura McMullan fragt, was sie sich zu Weihnachten wünscht, lautet die Antwort: unbegrenzt Unterwäsche und Socken. Was Anderen unterm Weihnachtsbaum ein müdes „Danke“ entlockt, versetzt die 39-Jährige in Freudentaumel. Denn genau diese Dinge werden am dringendsten an der Kleiderausgabe des Flüchtlingslagers in Erding bei München benötigt.
„Heute sind es die Flüchtlinge, die Hilfe benötigen. In der Zukunft sind es vielleicht einmal wir selbst, die Hilfe benötigen."
Im Oktober wurde der sogenannte Warteraum Asyl in einem ehemaligen Fliegerhorst nahe München für die ankommenden Flüchtlinge eröffnet. Vom zweiten Tag an hilft Laura als Freiwillige vor Ort. Um gegen den ständigen Mangel an notwendigen Dingen, wie warmer Kleidung, im Camp anzukommen, mobilisierte die gebürtige Amerikanerin Spenden aus der ganzen Welt.
Sieben Jahre hatte die US-Amerikanerin bei Amazon gearbeitet, wo sie mitunter Marketingmanagerin für den Bereich Babyartikel war. Mit ihrem Ehemann Sean, der ebenfalls bei Amazon tätig ist, und den drei Kindern zog sie für den Job von Seattle nach München. Vor einigen Monaten beschloss Laura jedoch, sich mehr um die Dinge außerhalb der Arbeit zu kümmern: um Freunde, Familie und soziale Projekte – und gerade dort zu helfen.
„Es gab all diese Berichte über Flüchtlinge, die frierend und hilflos an den Grenzübergängen stehen und ich erfuhr, dass in Erding ein Camp für sie eröffnet werden soll“, sagt Laura. Sie ergriff die Initiative, besorgte sich über entsprechende Seiten auf Facebook die notwendigen Kontakte und meldete sich im Camp als freiwillige Helferin an. In den Warteraum Asyl in der oberbayerischen Stadt werden die Flüchtlinge direkt von der deutsch-österreichischen Grenze gebracht. Maximal 72 Stunden dürfen sie dort beherbergt werden, dann müssen sie in die Asylunterkunft in der Stadt weiterreisen, der sie zugeteilt werden.
Tag 1
Wie verläuft ein erster Tag in einem Flüchtlingslager, das auf die Ankunft von Tausenden erschöpften, traumatisierten, teils sehr kranken Menschen wartet? „Wir waren verwirrt. Tagsüber hatten wir fast nichts zu tun, denn die Busse kamen erst abends an“, erinnert sich Laura. „Also sortierten wir Spenden und stellten Notfallausstattungen zusammen für diejenigen, denen es am Wichtigsten mangelte.“ In den folgenden Tagen brach mit den Ankömmlingen die harte Realität über die 39-Jährige herein: „Unter den Flüchtlingen waren schwangere Frauen und Babies, die so krank waren, dass sie sich kaum bewegen konnten. Manche Babies waren erst vier Wochen alt, sie wurden auf der Flucht geboren. Vor uns standen Kinder ohne Schuhe.“
Und dann war da immer wieder unsägliche Frustration. „An manchen Tagen, wenn wir mit der Ausgabe der Kleidung angefangen haben, standen hinter uns Kartons voller Spenden. Aber irgendwann im Laufe des Tages drehte ich mich um, und „alle Sachen waren schon verbraucht. Wir standen vor leeren Kartons und mussten die Menschen wegschicken.“ Trotz der enormen Spendenbereitschaft in der Bevölkerung reichten die Kleiderspenden einfach nicht aus. Da kam der ehemaligen Amazon Mitarbeiterin eine Idee.
Lasst Wünsche für die Flüchtlinge wahr werden
„Ich legte einen öffentlichen digitalen Wunschzettel in meinem Amazon Profil an, auf den ich die Dinge schrieb, die wir im Camp am dringendsten benötigten“, erzählt Laura. Amazon bietet karitativen Organisationen die Möglichkeit, Wunschzettel anzulegen und öffentlich zugänglich zu machen. Amazon selber hat auf seiner Website eine Liste von Wunschzetteln rund um die Flüchtlingshilfe veröffentlicht und gibt damit einerseits Hilfsorganisationen die Möglichkeit, benötigte Produkte direkt zu listen und andererseits Kunden eine einfache Lösung zum bedarfsgerechten Spenden. Nicht nur die Kunden erfüllen täglich eine Vielzahl an Wünschen, auch Amazon selber unterstützt die Initiative finanziell. Lauras individueller Spenden-Wunschzettel ging an Freunde in der ganzen Welt. Zusätzlich postete sie ihn zusammen mit Fotos der leeren Spendenkartons auf Facebook.
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Innerhalb der ersten 24 Stunden gingen 222 Bestellungen für Laura ein. „Wenige Tage später klingelte es an der Tür und wir bekamen Unmengen Pakete geliefert. Es passte nichts mehr in unsere Garage. Der Paketbote hatte so etwas noch nie erlebt und machte Fotos von sich mit den Paketbergen.“ Inzwischen werden die Pakete direkt ins Camp geliefert.
Die Bestellungen kommen aus den USA, Italien, England, Kanada, Indien und Brasilien. „Meine Freunde außerhalb Europas fühlen sich hilflos angesichts der Nachrichten. So haben sie eine Möglichkeit, etwas zu tun. Die Rolle von Amazon hilft dabei: Fast jeder kennt Amazon, es ist einfach zu bedienen und aufgrund seiner Bekanntheit haben die Menschen Vertrauen.“
Family Business mit Herz
Auf ihrem Blog Feed The Right Wolf Today berichtet Laura über die Aktion, den Alltag im Flüchtlingslager und postet Fotos, die Einblick gewähren in diese Zwischenwelt vor den Toren Münchens. „Es geht mir nicht nur darum, nach Spenden zu fragen. Es ist genauso wichtig, die Menschen zu informieren, was passiert.“ Darüber hinaus unterstützt Laura die Hilfsorganisation Yellow Vest Foundation. Diese bietet schnelle, unbürokratische Hilfe für Flüchtlinge in den Warteräumen bei München und an Grenzübergängen in ganz Europa, wie Slowenien oder im französischen Calais.
Die Arbeit, die die dreifache Mutter seit Wochen im Flüchtlingslager Erding leistet, lässt sich nicht in regulärer Arbeitszeit fassen und die Eindrücke lassen sich zuhause nicht einfach abschütteln. „Manchmal verliert man die Nerven, manchmal kann man die Tränen nicht mehr zurückhalten. Dann muss man sich einen kurzen Moment nehmen, um weitermachen zu können.“ Die größte Unterstützung bekommt Laura von ihrer Familie. Ihr Ehemann sammelt ebenfalls Spenden und hilft beim Transport, die Söhne sortieren Kleidung und Lauras Tochter begleitet sie samstags ins Camp, um die Spenden dort abzugeben.
„Wir sind alle Menschen“
Trotz des riesigen Erfolgs der Aktion, die Laura ins Leben gerufen hat, sind es nie genug Spenden. Über 5.000 Flüchtlinge finden im Camp in Erding Platz. Allein in den ersten vier Wochen wurden 26.000 Menschen dort hingebracht. Immer wieder stehen Laura und die anderen Helfer vor leeren Kartons. Ganz oben auf Lauras Spenden-Wunschzettel stehen neben Socken und Unterwäsche warme Schuhe, vor allem in den Größen 40 bis 42, Damenschuhe in den Größen 38 und 39, Jacken in Größe S, außerdem Mützen und Handschuhe, um die Flüchtlinge, die oft nur in Sandalen und leichter Kleidung ankommen, warm halten zu können.
Ein Wunsch steht aber nicht auf Lauras Zettel, und doch ist es ihr größter in diesem Jahr: „Menschlichkeit. Und Empathie für all jene, denen es schlecht geht. Heute sind es die Flüchtlinge, die Hilfe brauchen. In der Zukunft sind es vielleicht einmal wir selbst, die Unterstützung benötigen. Es wird Zeit, dass wir erkennen, was uns alle verbindet: Wir sind Menschen, egal aus welchem Land wir kommen oder welche Religion wir ausüben.“