Wer hierher kommt, hat Probleme: Schulden, ständig Streit in der Familie, Drogenprobleme oder eine unerwartete Schwangerschaft. In den bundesweit über 4000 Caritas-Beratungsstellen erwartet diese Menschen Hoffnung: Beratung, warme Worte, Lösungsansätze.
Doch im April dieses Jahres sind die Beratungsstellen plötzlich leer – die Corona-Krise hat auch hier ihre Spuren hinterlassen. Statt geöffneter Türen prangt dort, gut sichtbar für alle Ratsuchenden, ein QR-Code und die Botschaft „Wir sind weiterhin für Sie da – online“.
Schon seit 2006 gibt es das Onlineangebot der Caritas. Hier bekommen Menschen kostenlos und – falls gewünscht – anonym Unterstützung. Die Caritas in Deutschland bietet online die gleiche professionelle Beratung wie in den örtlichen Beratungsstellen, etwa bei Familienproblemen, HIV, Sucht oder Suizidgedanken – insgesamt in 21 Themengebieten.
Die Beratung geht online weiter
Wer den QR-Code im Fenster der verwaisten Beratungsstelle einscannt, wird auf die Website der CaritasOnline-Beratung geführt. Dort kann die oder der Ratsuchende den passenden Themenbereich auswählen und in einem Chatroom seine Probleme schildern. Eine Expertin oder ein Experte der Caritas antwortet innerhalb von 48 Stunden auf die Nachricht und berät den Hilfesuchenden.
Um zu vermeiden, dass Unbefugte auf die Beratungsgespräche zugreifen können, hat die Caritas die gesicherte Beratungsplattform für sich entwickeln lassen. „Diese Investition hat sich während der Corona-Pandemie absolut ausgezahlt,“ freut sich Andrea Bartsch, seit April 2019 als Referatsleiterin für die Online-Beratung der Caritas verantwortlich. Denn der Lockdown hätte viele laufende Beratungen abrupt beendet. Die Probleme der Menschen lassen sich jedoch nicht so pausieren wie das öffentliche Leben – im Gegenteil: Durch die Pandemie kamen durch Kurzarbeit oder Jobverlust und die Kontaktsperre oft noch mehr Schwierigkeiten hinzu.
Um die Menschen weiterhin betreuen zu können, fuhr die Caritas ihre Online-Beratung deutlich hoch. In kurzer Zeit hat die Organisation 400 neue Online-Stellen in die Beratungsplattform aufgenommen und über 1.000 Beraterinnen und Berater für die Online-Beratung ausgebildet.
Für viele Kolleginnen und Kollegen sei der Lockdown ausschlaggebend gewesen, die Online-Beratung einmal auszuprobieren. „Alle waren froh, dass sie weiterhin für ihre Klienten da sein konnten, auch wenn sie gerade nicht im Büro sein können. Tatsächlich konnten sie selbst auf diese Weise auch besser mit der Situation umgehen und haben sich weniger ausgeliefert gefühlt. Wir konnten weiterhin etwas tun.“ Viele Ratsuchende konnten so ihre bestehende Beratung über die Online-Plattform weiterführen und oft sogar mit der gleichen Beraterin oder dem gleichen Berater weiterarbeiten.
Aber auch viele neue Interessenten haben sich in letzter Zeit online angemeldet. Während es vor der Pandemie circa 80 Neuregistrierungen pro Tag gab, waren es während des Lockdowns durchschnittlich 180. Bartsch hofft, dass die Pandemie etwas zur dauerhaften Etablierung des Angebots beigetragen hat. „Viele nutzen das Onlineangebot als unverbindlichen Einstieg, um sich die Beratung erstmal anzusehen und auszuprobieren, ob es etwas für sie ist.“ Gerade die Anonymität sei dabei für viele Nutzerinnen und Nutzer ein Vorteil. Für die Beraterinnen und Berater jedoch ist es manchmal schwieriger, die Situation virtuell richtig einzuschätzen, da weniger Zwischenmenschliches transportiert wird. Aus diesem Grund soll demnächst die Option zum Videochat ergänzt werden.
Ein Entwicklungsprojekt für alle
Die Entwicklung und schnelle Skalierung der Beratungsplattform in der Corona-Krise hat die Caritas mit viel Geld aus eigenen Mitteln gestemmt. Amazon unterstützte den Ausbau der Online-Beratung mit einer Spende in Höhe von 100.000 Euro, damit Hilfe schnell dort ankommt, wo sie in Zeiten der Krise benötigt wird.
Für die zukünftige Entwicklung der Plattform setzt die Caritas auch auf Open Source Entwicklung. Seit Ende Juni ist der Programmcode offen verfügbar, sodass Interessierte ihn prüfen und verbessern können. Auch andere Organisationen dürfen das Programm nutzen und weiterentwickeln. „So können wir alle gemeinsam Verbesserungen entwickeln und diese dann auch den anderen Nutzern der Beratungsplattform zur Verfügung stellen“, erklärt Bartsch.