„Manchmal hab ich meinen Mann auch angemotzt und geheult”, erinnert sich Jessica Winter lachend an die Zeit vor vier Jahren, in der ihr erster Roman entstanden ist. „Das hat mich so berührt, was ich da geschrieben hab. Ich konnte nicht einfach den Rechner abdrehen und fern sehen oder so. Ich brauchte dann Zeit für mich.“
Zeit für sich – davon hat Jessica Winter aktuell nicht viel. Vor kurzem sind ihre Zwillinge zur Welt gekommen. „Ich bin gut beschäftigt“, gibt sie zu. Und dennoch nimmt sich Jessica auch heute ihren Freiraum und arbeitet an ihren Romanen. Abends, wenn andere Menschen vorm Fernseher liegen oder ein Buch lesen, schreibt sie ihre eigenen Geschichten.
Jessica Winter ist keine klassische Autorin. Ihre Romane erscheinen nicht nur als Taschenbücher, sondern auch über Kindle Direct Publishing (KDP). Auch schon vor der Geburt ihrer Zwillinge hat die Österreicherin stets in ihrer Freizeit geschrieben. Und das mit Erfolg! Über 100 000 Leser haben bereits ihre Bücher gekauft.
Highschool-Feeling aus Österreich
Hauptberuflich arbeitet Jessica Winter als Sonderschullehrerin mit lernschwachen Kindern an einer Mittelschule in der Nähe von Linz. Dieser Job ist Jessica wichtig. „Nein“, sagt sie, „den könnt ich net aufgeben!“ Sie brauche die Erlebnisse im Schulalltag für sich und für die Geschichten. Denn im Job kommen ihr die besten Ideen für ihre Bücher.
Die Hauptfigur in ihrem Debütroman Bis du wieder atmen kannst ist im gleichen Alter wie ihre Schülerinnen und Schüler. Die Autorin beschreibt in dem Buch jedoch das Leben der Teenies an einer amerikanischen High-School. Da geht´s ums Coolsein, um die Beliebten, die Außenseiter und erste Liebschaften.
„Man macht sich verletzlich, wenn man ein Buch schreibt. Man zieht sich sozusagen nackt aus, denn das sind meine Worte und irgendwie steckt darin ein Hauch meiner Person."
Der Blick hinter die Fassade
Doch bliebe es bei diesen Themen, wäre es kein Roman von Jessica Winter. Denn die 27-Jährige kennt die Welt, die hinter der Fassade der Teenies steckt zu gut, um an der Oberfläche zu bleiben. So zeichnet sie feinfühlig das Bild von Julia, einem jungen Mädchen, das Opfer häuslicher Gewalt wird. Für Jessica Winter ist das ein sehr berührendes Thema und sie weiß, dass Gewalt in den Familien viel häufiger auf der Tagesordnung steht, als man meint. Als Sonderschullehrerin erlebt sie aber immer wieder, dass Kinder ihre Eltern nicht verraten möchten. „Man muss es den Kindern echt raussaugen “, weiß sie aus der Erfahrung ihres Berufsalltags. „Und dann hörst du da Sachen, die beschäftigen dich so, das muss verarbeitet werden.“ Und deswegen schreibt Jessica auf, was sie erfahren hat und verpackt die tiefgründigen Inhalte in fesselnde Geschichten rund um Liebe und Freundschaft. „Liebesgeschichten lesen die Leute halt einfach gern und ich mag solche Geschichten ja auch total“, gibt sie zu.
Zittern auf der Frankfurter Buchmesse
Sie selbst liest am liebsten englische Bücher. Nicht nur, weil ihre Mutter Amerikanerin ist und sie auf Englisch denkt. „Ich möchte mir meinen Schreibstil von niemandem abkupfern“, hat sie sich vorgenommen. „Und wenn ich keine deutschen Autoren lese, sichere ich mich da so ein bisschen ab.“
Jessica Winter liest überall. Auf der Couch, im Wartezimmer oder im Bett. Dabei greift sie fast nur noch zum Kindle, wenn die Leselust sie packt. „Gedruckte Bücher sind mir inzwischen fast zu schwer“, stellt sie fest. Dass sie selbst einmal mehrere 100.000 Buchexemplare über Kindle Direct Publishing (KDP) verkaufen würde, findet sie noch immer verrückt! „Das war schon toll, als ich gesehen habe, dass drei Leute mein Buch gekauft haben“, erinnert sie sich an die erste Zeit als Autorin. Dann waren es irgendwann mal mehrere hundert und dann kam der Kindle Storyteller Award, der den Mut und die Arbeit der Autoren würdigen möchte, die ihre Geschichten im Selbstverlag veröffentlichen. Jessica Winters Geschichten schafften es ins Finale. Die Nominierung für den Preis lenkte die Aufmerksamkeit auf die Bücher der jungen Autorin und die Absatzzahlen gingen ad hoc in die Höhe.
Für die Österreicherin eine tolle Bestätigung – aber auch eine Herausforderung: „Ich bin Öffentlichkeit ja gar nicht gewöhnt“, sagt sie und erzählt, dass es ihr gar nicht leicht gefallen sei, mit der Kritik umzugehen, die der Erfolg auch mit sich brachte. „Das hat mich auch ein paar Tränen gekostet“, gibt sie zu. Doch die meisten Rezensionen sind für Jessica Winter Balsam auf ihrer Seele. Sie freut sich, wenn sie merkt, dass sie mit ihren Büchern auch etwas erreichen kann. „Wenn die Leute schreiben, dass sie jetzt ganz anders auf junge Menschen zugehen oder durch die Bücher Mut und Hoffnung schöpfen, dann freut mich das sehr“.
Gleichzeitig gibt dieses Feedback der Schriftstellerin Ansporn zum Weiterschreiben. Wenn ihre kleinen Zwillinge schlafen, dann nimmt sie sich auch jetzt wieder ihren Laptop und setzt sich auf die Couch. Während ihr Mann fernsieht, sitzt sie neben ihm und denkt sich in ihre Romanhelden hinein. Heraus kommen dabei Geschichten, die man weiterlesen möchte, weil der Leser durch den ungewohnten Einblick in die Seele eines Jugendlichen eine große Nähe zu den Figuren aufbauen kann. Eine Nähe, die Jessica selbst auch empfindet.
Auf die Frage, worum es in ihrem nächsten Buch gehen wird, erklärt sie, dass es ein Spin-Off der ersten beiden Romane sei. Nicht die Hauptfigur „Jeremy“ stehe dann im Mittelpunkt, sondern Max, bislang nur eine Nebenfigur. „Aber den mag i halt auch einfach so sehr“, sagt sie lachend. Bis Max` Geschichte erscheinen wird, kann es ein noch ein wenig dauern. Jessica Winter möchte sich nicht selbst unter Druck setzen. Denn neben den fiktiven Figuren spielen ja jetzt zwei ganz reale Wesen eine große Rolle in ihrem Leben.
Und wenn die ein bisschen größer sind, wird Jessica Winter ihnen Geschichten vorlesen und sie an die Welt der Bücher heranführen. „Gerade als Lehrerin sieht man, wie wichtig das Lesen ist und wie schnell es inmitten von Alltagsstress, Handy und Computer zu kurz kommt“, betont die junge Autorin, die den Welttag des Buches daher unglaublich wichtig findet. Bei diesem Aktionstag werden unter dem Motto „Ich schenke dir eine Geschichte“ Bücher an Schulen und Bibliotheken verschenkt, um mehr Kinder ans Lesen heranzuführen. „Wenn man die Freude am Lesen im Unterricht richtig vermittelt kann man damit wesentliche Grundsteine fürs Leben legen“, findet auch Jessica Winter, die als Lehrerin ihren kleinen Teil dazu beitragen möchte, indem sie Geschichten schreibt, die junge Menschen ein wenig träumen lassen.