Die Digitalisierung schafft Möglichkeiten – sagt man. Aber sind die Möglichkeiten für alle gleich? Eine Kooperation zwischen Amazon und BRIGITTE soll genau dazu beitragen. Im Interview sprechen Brigitte Huber, Chefredakteurin der BRIGITTE, und Ralf Kleber, Country Manager Amazon.de, über eine Zusammenarbeit mit Signalwirkung, die Notwendigkeit von Vorbildern und das Aufweichen der Geschlechterrollen.

Frau Huber, Herr Kleber, vielen Dank für das Gespräch zur anstehenden Amazon Academy. Erzählen Sie uns doch bitte kurz, was es mit dem gemeinsamen Event auf sich hat.

Ralf Kleber: Bei der Amazon Academy treffen sich seit vier Jahren diejenigen, die Digitalisierung leben und nicht nur darüber reden. Dazu kommen Vordenker aus verschiedensten Bereichen zusammen: Politik, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien…

Und das Thema ist dieses Jahr?

Ralf Kleber: „Mein Leben, mein Job und ich“ – die Veranstaltung richtet sich an unternehmerisch denkende und handelnde Frauen, die Lust auf das digitale Zeitalter haben. Entstanden ist die Zusammenarbeit mit der BRIGITTE aus einem Förderprogramm im letzten Jahr. Wir haben die „Unternehmer der Zukunft“ gesucht – und gewonnen haben zwei Männer sowie zwei Frauen. Da entstand der Gedanke: Lasst uns eine Veranstaltung speziell für Unternehmerinnen machen. Dafür haben wir die BRIGITTE ins Spiel gebracht. (Zu Frau Huber gewandt) Denn ihr seid für Frauen die Kompetenz im Lande.

Brigitte Huber: Das stimmt. Wir werden gelesen, weil Frauen Inspiration suchen, weil sie vorankommen wollen. Sei es, dass sie ein Unternehmen gründen, dass sie sich beruflich umorientieren oder dass sie nach einer Familienpause wieder einsteigen wollen. Diese Frauen sprechen wir an. Für sie ist Digitalisierung ein großes Thema – und daher haben wir uns ganz wunderbar ergänzt.

Ralf Kleber: Das finde ich auch!

Wie kam es konkret zu der Kooperation?

Ralf Kleber: Du suchst nach einem denkgleichen Partner. Nach jemandem, der die Zielgruppe glaubhaft ansprechen kann. Da gibt es nicht viele – die Schnittmenge zur BRIGITTE war sofort gegeben. Ich bin überzeugt, unsere Kooperation wird ein Riesending, weil sie Signalwirkung hat.

Ralf Kleber bei der Abschlussveranstaltung von "Unternehmerinnen der Zukunft".
Ralf Kleber, Country Manager Amazon.de, im Gespräch mit Brigitte Huber über die Amazon Academy.
Foto von Tobias Koch

Was wollen Sie zusammen erreichen?

Ralf Kleber: Es geht uns nicht um Amazon und BRIGITTE. Was wir schaffen wollen, sind Leitbilder. Wir wollen Erfolgsgeschichten erzählen, Mut machen und zeigen, wie Frauen unternehmerischen Erfolg haben können, wenn sie sich nur trauen.

Brigitte Huber: Vollkommen richtig. Die Frauen, die wir ansprechen, suchen nach Vorbildern. Wenn ich merke: „Die kann das“, dann realisiere ich: „Ich kann das auch probieren.“ In diesem Sinne ist unsere Kooperation eine Inspirationsquelle und ein Mutmacher. Die Teilnehmerinnen unserer gemeinsamen Veranstaltung können netzwerken, sich austauschen und andere Frauen sehen, die ihren Weg schon gegangen sind.

„Weg“ ist ein gutes Stichwort: Sie eröffnen die Veranstaltung mit einer Diskussion zum Thema „Den eigenen Weg gehen“. Was wollen Sie den Teilnehmerinnen mit auf ihren Weg geben?

Brigitte Huber: Neben der Inspiration wollen wir zeigen, woran Frauen arbeiten können. Letztens habe ich gelesen, 40 Prozent glauben nach wie vor, es fehle ihnen an technischem Verständnis. Wir sagen: Dabei muss man es nicht bewenden lassen. Da kann man etwas gegen tun.

Ralf Kleber: Ich finde, da gehen Inspiration und Beratung Hand in Hand. Denn wir als Technologie-Unternehmen und Infrastruktur für Händlerinnen, Autorinnen oder Entwicklerinnen haben die Geschichten von Macherinnen, die es geschafft haben. Sie können erzählen, wie ihnen die Technik hilft. Wie sie sich die Digitalisierung für ihr bestehendes Geschäftsmodell zunutze gemacht haben. Oder andersherum: wie sie mit ihrem Geschäftsmodell Deutschland noch etwas digitaler gemacht haben.

Brigitte Huber: Und dann merken viele plötzlich: Dafür braucht man ja gar keinen Mathe-Leistungskurs im Lebenslauf.

Ralf Kleber: Und man muss auch keine Informatikerin sein.

Brigitte Huber: Auch das nicht. Aber damit man sich traut, braucht man jemanden, der einem eine Brücke baut, über die man gehen kann.

Frau Huber, heute sind Sie ein Vorbild für viele Frauen, die Karriere machen möchten. Über welche Brücken mussten Sie dafür gehen?

Brigitte Huber: Ich denke, meinen Weg macht aus, dass das Timing oft nicht ideal schien. Ich wurde früh Mutter – mit 19 Jahren. Und trotzdem konnte ich – dank der Unterstützung meiner Eltern – eine Ausbildung abschließen, mein Studium machen und die Journalistenschule besuchen. Im Nachhinein sehe ich, dass genau diese Erfahrung mir auf meinem Weg geholfen hat. Ich habe gemerkt: Es gibt nicht den richtigen Zeitpunkt. Du musst den richtigen Zeitpunkt daraus machen.

Ralf Kleber: Sie meinen, man muss auch mal improvisieren und wird dadurch stärker?

Brigitte Huber: Ja. Ich sage immer: Mut ist ein Muskel, den man trainieren muss. Ich habe ihn wider Willen früh trainiert. Das hat mir dabei geholfen, später ins kalte Wasser zu springen, wenn ich eine Chance bekommen habe. Daher sage ich den Frauen heute: Macht es, probiert es, wenn man euch eine Chance gibt.

Man sagt ja, die Digitalisierung kreiert viele solcher Chancen? Ist jetzt der ideale Zeitpunkt gekommen, speziell über die Unternehmerinnen der Zukunft zu sprechen?

Ralf Kleber: Ich denke nicht, dass es den idealen Zeitpunkt gibt. Oder, dass es nur einen gibt. Aber ich erlebe täglich, dass es nie einfacher war, eine Idee sichtbar zu machen: Mit einem Klick kann ich hunderttausende Menschen erreichen – ob als Unternehmer mit meinem Produkt, als Autor mit meinem Buch oder als Sänger mit meiner Musik. Die Digitalisierung ist eine Autobahn für die Verbreitung von Ideen.

Brigitte Huber: In diesem Sinne ist heute auf jeden Fall ein sehr guter Zeitpunkt: In den letzten Jahren und Jahrzehnten ist zwar viel passiert für Frauen – auf der anderen Seite ist es aber zum Beispiel Fakt, dass die meisten Startups nach wie vor von Männern gegründet werden.

Ralf Kleber: Und das, obwohl es keine Geschlechtertrennung in Bezug auf tolle Geschäftsideen gibt.

Sie meinen, da gibt es noch viel Nachholbedarf?

Brigitte Huber: Absolut. Frauen bringen viel mit, was man für die Gründung eines Unternehmens braucht. Wir sehen, wie Frauen heute führen. Und so bauen sie auch Unternehmen auf: Sie sind kommunikativ, sie können moderieren, sie sind emphatisch und einfühlsam. Das sind Eigenschaften, die sie befähigen, Unternehmerinnen zu werden. Und Zahlen belegen: Wenn Frauen sich trauen, diesen Weg zu gehen, dann sind ihre Unternehmen oftmals stabiler als die von Männern gegründeten.

Woher rührt dann das Übergewicht bei der Gründung durch Männer?

Brigitte Huber: Frauen fehlt es im Vergleich zu Männern oft an Selbstbewusstsein und Fähigkeiten im Selbstmarketing. Das führt zum Beispiel dazu, dass Frauen viel weniger Finanzierungshilfen bekommen.

Das heißt: Eigentlich können und sollten es beide Geschlechter gleichermaßen versuchen.

Brigitte Huber: Dazu habe ich gerade erst kürzlich eine interessante Studie gelesen: Darin wurden junge Unternehmerinnen und Unternehmer gefragt, wie glücklich sie der Schritt, ein Unternehmen zu gründen, gemacht hat. Auf einer Skala von 1 bis 10 lagen Geschlechter-übergreifend nahezu 80 Prozent bei einem Wert von 8 oder höher. Das heißt: der Schritt lohnt sich – egal ob Frau oder Mann.

Ralf Kleber: Genau deshalb ist unsere gemeinsame Amazon Academy so wichtig. Denn durch die Digitalisierung lassen sich die hier erzählten Erfolgsgeschichten besser verbreiten als noch vor zwanzig Jahren. Früher ging das nur in der Nachbarschaft. Wirklich transparent zu lernen, zuzuhören, teilzuhaben und in Kontakt zu treten– das ist heute ganz besonders. Dadurch bildet sich ein Netzwerk, das Wege aufzeigt und Mut macht.

Ich habe gelernt: Potenzielle Unternehmerinnen müssen dringend motiviert werden. Auf der anderen Seite heißt es: Frauen waren noch nie so emanzipiert und beruflich selbstbestimmt wie heute. Wie passt das zusammen?

Ralf Kleber: Beides stimmt. Wir waren noch nie so weit …

Brigitte Huber: … aber es gibt noch viel zu tun.

Ralf Kleber: Wir skizzieren bei Amazon immer das Bild des „Day One“. Es ist immer Tag eins. Will sagen: Es kann jeden Tag mehr und alles neu gemacht werden. Und: an jedem Tag kann eine Erfolgsstory geschrieben werden.

Brigitte Huber bei der Abschlussveranstaltung "Unternehmerinnen der Zukunft"
Brigitte Huber, Chefredakteurin der BRIGITTE
Foto von Tobias Koch

Das bedeutet, wir sind an einem Wendepunkt?

Brigitte Huber: Das ist schön, dass Sie das sagen: Wir haben letztes Jahr bei BRIGITTE eine Studie gemacht unter dem Titel „Mein Leben, mein Job und ich“ und es kam genau das heraus: Wir stehen an einem Wendepunkt. Ich finde, das ist eine tolle Botschaft. Die Lebensentwürfe von Männern und Frauen waren noch nie so ähnlich wie heute. Männer sind nicht mehr nur die verbissenen Karriere-Tiger und Frauen sehen ihre Rolle nicht mehr allein hinterm heimischen Herd. Beide wollen gewissermaßen das Gleiche. Darauf müssen wir uns gesellschaftlich und unternehmerisch einstellen.

Ralf Kleber: Und da stehen wir ganz am Anfang – darauf ist die Arbeitswelt noch nicht ausgerichtet.

Was können die Unternehmen dahingehend tun?

Ralf Kleber: Wir pflegen bei Amazon den Begriff der Work-Life-Harmony – nicht Balance, denn das suggeriert schon, da sei etwas aus der Balance geraten. Hingegen: Wem Energie im Job gegeben wird, der kann diese Energie ins Privatleben fließen lassen – und umgekehrt, Wir wollen Wege schaffen, die es unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erlauben, ihr privates mit ihrem beruflichen Leben harmonisch zu verbinden. Das fängt mit einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten an. Und geht weiter bei einer hohen Technisierung, die es den Mitarbeiter zum Beispiel erlaubt, durch Videokonferenzen von zuhause an Meetings teilzunehmen.

Davon profitieren Mann und Frau gleichermaßen.

Ralf Kleber: Natürlich, und gerade Familien. So stellen wir sicher, dass die Mutter die zwei Stunden am Morgen hat, um Dinge im Kindergarten zu klären. Und der Vater am Nachmittag zwei Stunden bei den Hausaufgaben helfen kann. Wir versuchen da, so gut wie möglich auf verschiedene Lebenssituationen einzugehen. Ich nenne bewusst Mütter und Väter. Denn das gilt, wie Frau Huber eben gesagt hat, für beide Geschlechter.

Brigitte Huber: Wir setzen das bei uns ganz ähnlich um: Vor einiger Zeit haben wir beispielsweise unsere Kernarbeitszeiten verkürzt und Home Office-Möglichkeiten eingeführt.

Ralf Kleber: Und das Tolle ist, wie all diese Neuerungen angenommen werden: Bei uns gehen zum Beispiel fast genauso viele Väter wie Mütter in Elternzeit …

Brigitte Huber: Das ist aber toll!

Ralf Kleber: Ja, das ist ein Signal, das wir auf dem richtigen Weg sind.

Kommen bei Ihnen dadurch auch mehr Frauen in Führungspositionen?

Brigitte Huber: Dieser Weg betrifft natürlich auch die Besetzung von Führungspositionen – bei uns zum Beispiel die der Chefredakteure: Da haben wir mittlerweile deutlich über 40 Prozent Frauen. Wobei ich in meiner Redaktion zum Beispiel sogar gern mehr Männer hätte … (lacht)

Ralf Kleber: Bei uns ist das naturgemäß andersherum. Als Technologiekonzern haben wir den Auftrag zu entmystifizieren und zu kommunizieren: Technologiekonzerne sind auch Frauenkonzerne. Punkt. Mir gefällt das Bild des Muskels, das Sie vorhin gebraucht haben, Frau Huber. Der Muskel wird nicht trainiert, indem ich übers Training rede. Ich muss handeln – Lösungen finden, Programme schaffen, kommunizieren. All das sind Aufgaben für uns, an denen Amazon arbeitet. Wir wollen uns auf etwas Neues einlassen und die Erfolgsgeschichten hinaustragen, die wir damit hoffentlich erzielen.

Dann lassen Sie uns zum Abschluss spekulieren, wohin dieser Weg führt: Wenn sie eine Utopie der Zukunft des weiblichen Unternehmertums spinnen, was wünschen Sie sich, wo wir in – sagen wir – 50 Jahren stehen?

Ralf Kleber: Ich wünsche mir, dass sich die Fragen, die wir heute diskutieren, dann nicht mehr stellen. (lacht)

Brigitte Huber: Beziehungsweise, dass niemand denkt: „War das schön vor 50 Jahren.“ Darauf können wir uns, glaube ich, verständigen. Aber jetzt freuen wir uns erstmal auf unsere gemeinsame Academy …

Dabei wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Vielen Dank für das Gespräch.