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Ein Gastbeitrag von Kai Hudetz, Geschäftsführer des IFH (Institut für Handelsforschung GmbH) in Köln

Das Ende des Wachstums im Online-Handel in Deutschland ist nicht in Sicht. Im vergangenen Jahr überschritt er nach unseren Erkenntnissen mit 52,3 Mrd. Euro erstmals die 50-Mrd.-Marke im B2C-Segment. Dies entspricht einem Wachstum von 11,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das absolute Wachstum war mit 5,3 Mrd. Euro höher denn je. Es wird sowohl aus den Nachzüglerbranchen Möbel, DIY (Heim und Garten) oder FMCG (Güter des täglichen Bedarfs) als auch weiterhin aus Vorreiterbranchen wie Consumer Electronics oder Fashion befeuert. Die Prognosen des IFH Köln versprechen – wie zahlreiche andere Prognosen auch – für die kommenden Jahre weiterhin ein starkes Online-Wachstum.

Die Digitalisierung bietet dem Konsumenten mehr Möglichkeiten denn je. Er kann inzwischen nahezu von überall rund um die Uhr Angebote einsehen, Preise vergleichen und einkaufen. Das erzeugt zwar neuen Wettbewerb und auch Veränderungsdruck – der Wandel muss aber nicht automatisch zulasten des stationären Handels gehen. In der Debatte vergessen werden leider häufig Chancen und Möglichkeiten, die das Internet bietet. Wie man diese Chancen nutzen kann, das beweisen etwa die 23 Händler im Förderprogramm „Unternehmer der Zukunft“ von Amazon und WirtschaftsWoche. Im Rahmen der Initiative bauen sie ihr Online-Geschäft auf oder aus, begleitet von erfahrenen Coaches.

Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“ In diesem Sinne sollten stationäre Händler ihr Augenmerk vor allem darauf legen, wie sie ihren Kunden über das Internet neue Mehrwerte bieten beziehungsweise wie sie auch online Kunden gewinnen und binden können.

Unsere aktuelle Cross-Channel-Studie verdeutlicht erneut, dass Konsumenten nicht nur immer häufiger online einkaufen, sondern Online-Shops und Marktplätze, allen voran Amazon, auch als wichtige Informationsquelle vor einem stationären Kauf nutzen: Bei 45,1 % aller stationären Käufe abseits der Güter des täglichen Bedarfs hat sich der Konsument vorab in zumindest einem Online-Shop informiert. Wer die richtigen Kanäle mit den richtigen Angeboten bespielt, hat also gute Chancen, die Kaufentscheidung zu beeinflussen, sogar wenn ein Kanalwechsel stattfindet.

Für den stationären Händler kann das Internet eine große Chance bieten, neue Kunden anzusprechen. Dies gilt vor allem für kleinere Händler mit regionalem Fokus, die via Internet überregional oder gar international vertreiben können. Das vielleicht bekannteste Beispiel stellt das Musikhaus Thomann (www.thomann.de) dar, das sich mit seinem 1996 gestarteten und konsequent weiterentwickelten Online-Shop von einem regionalen Fachgeschäft zu Europas größtem Händler für Musikinstrumente entwickelt hat.

Auch wenn die Online-Märkte immer umkämpfter werden, bietet das Internet weiterhin Chancen für stationäre Händler, selbst in sehr wettbewerbsintensiven Kategorien, wie das Beispiel des Schuhhaus Willer (http://www.willer-schuhe.de/) zeigt, einer der Teilnehmer im Förderprogramm „Unternehmer der Zukunft“. Das 1788 gegründete Unternehmen ist eine Institution im Kalletal (ca. 40 km nordöstlich von Bielefeld), kämpft aber mit Umsatzrückgängen auf der Fläche, weil viele Kunden zunehmend auch online einkaufen. Daher ist das Schuhhaus Willer 2015 als Händler auf dem Amazon Marktplatz gestartet. Momentan werden dort zwölf bis 20 Bestellungen pro Tag abgewickelt. Für weiteres Wachstum wird jetzt die Marktplatzpräsenz professionalisiert und die Logistik für den Online-Versand optimiert.

Stationäre Händler sollten sich in Bezug auf den Online-Handel an eine Weisheit von Victor Hugo erinnern: „Die Zukunft hat viele Namen. Für die Schwachen ist sie das Unerreichbare. Für die Furchtsamen ist sie das Unbekannte. Für die Tapferen ist sie die Chance.“ Diese Chance gilt es, über kundenzentrierte Online-Angebote und -Services zu nutzen.