Als „absoluten Glückstreffer“ bezeichnet Sonja Methling ihre Karriere bei Amazon. Vor fast 20 Jahren heuerte sie bei dem damals in Deutschland noch unbekannten Unternehmen in der Personalabteilung an. Heute gestaltet Sonja das Geschäft in der Führungsebene mit, und kümmert sich in Berlin als Director Merchant Services um die Händlerprogramme „Versand durch Amazon“ und „Prime für Verkäufer“. Zum diesjährigen internationalen Frauentag führte die 26-jährige Berufseinsteigerin Anika Born, die seit wenigen Monaten bei Amazon in München als Lieferantenmanagerin arbeitet, mit der 45-jährigen ein Gespräch darüber, wie Sonja ihre Karriere gestaltet hat, warum Frauen immer noch häufig an die „gläserne Decke“ stoßen, welche Tipps sie jungen Einsteigerinnen wie Anika mit auf den Berufsweg gibt und ob es heutzutage überhaupt noch einen Internationalen Frauentag, eine Frauenquote oder ähnliche Initiativen zur Gleichstellung braucht.
Anika: Du hast bei Amazon schon viele verschiedene Positionen durchlaufen. Hattest du das Gefühl, dich als Frau mehr anstrengen zu müssen als deine männlichen Kollegen?
Sonja: Meine Karriere hat sich kontinuierlich weiter entwickelt. Amazon ist sehr dynamisch und erfindet sich ständig neu. Da ergeben sich immer wieder neue Chancen, die ich für mich nutzen konnte. Alle zwei bis drei Jahre habe ich mich intern nach einer neuen Position umgeschaut – und zwar dann, wenn ich das Gefühl hatte in meiner aktuellen Position meine Komfortzone erreicht zu haben. Dann hatte ich immer den Ansporn, eine neue Herausforderung zu suchen. Klar, dass das auch viel Einsatz und Engagement erfordert hat, aber für mich ist das selbstverständlich.
Du hast es geschafft, in eine Führungsposition zu kommen. Viele Frauen stoßen aber früher oder später an die sogenannte „gläserne Decke“. Welche Fehler machen Frauen deiner Erfahrung nach im Berufsleben, dass ihre Karrieren irgendwann nicht mehr weitergehen? Oder liegt es eher an der Unternehmenskultur als an den Frauen?
Nach meiner Erfahrung kann beides zutreffen: Frauen machen zwar tolle Arbeit, bleiben dann aber teilweise zu sehr im Hintergrund, zum Beispiel halten sie sich in Meetings zurück und lassen lieber andere das Wort ergreifen. Auch Networking, insbesondere der regelmäßige Austausch mit Kollegen aus anderen Bereichen und höheren Positionen, ist für die Karriere unverzichtbar – das unterschätzen Frauen manchmal und nutzen es zu wenig. Ich beobachte auch häufiger, dass Frauen sich neue Aufgaben oder einen neuen Karriereschritt erst dann zutrauen, wenn sie alle Voraussetzungen perfekt erfüllen. Dabei steckt ja genau darin die Gelegenheit, neue Dinge zu lernen, die am Anfang noch nicht gleich hundertprozentig klappen müssen. Ein Positions- oder Unternehmenswechsel kann ja ein wichtiger Karriereschritt sein, aber wir bekommen z.B. auf Führungspositionen deutlich mehr Bewerbungen von Männern als von Frauen. Hier würde ich mir einfach mehr Mut wünschen! Oft spielt es natürlich auch eine Rolle, dass es eher Frauen sind, die Beruf und Familie unter einen Hut bringen müssen und somit weniger flexibel sind – bzw. dann durch strukturelle Faktoren im Unternehmen, wie zum Beispiel zu wenig flexible Arbeitsmodelle für Mütter und Väter, ausgebremst werden.
Findest du, dass Amazon Frauen aktiv bei ihrer Karriere unterstützt?
Dieses Thema ist in den vergangenen ein bis zwei Jahren deutlich stärker in den Fokus gerückt. Es wurden verschiedene Arbeitsgruppen gegründet, an denen sich sowohl Frauen als auch Männer beteiligen. Eine Initiative beschäftigt sich zum Beispiel mit unserem Recruiting-Prozess: Wie können wir einem „unconscious bias“ im Einstellungsprozess vorbeugen und die Erfahrung für Bewerberinnen verbessern? Ein Beispiel für eine konkrete Änderung, die sich daraus ergeben hat: Die Entscheidung, ob eine Kandidatin eingestellt wird, treffen bei uns immer vier bis fünf Personen gemeinsam – darunter muss mindestens eine Frau sein, für alle Positionen. Für Bewerberinnen gibt es zudem eine weibliche Ansprechpartnerin, die auch informelle Fragen rund um das Arbeiten bei Amazon beantworten kann.
Eine weitere Arbeitsgruppe befasst sich mit der Frage, welche Arbeitsbedingungen Eltern brauchen, um Job und Familie besser miteinander vereinen zu können, also beispielsweise verschiedene Teilzeitmodelle oder flexible Arbeitszeiten. Außerdem versuchen wir, Frauen stärker miteinander zu vernetzen und Vorbilder zu schaffen. Wir veranstalten zum Beispiel Paneldiskussionen mit Frauen in Führungspositionen, oder bringen junge Mütter mit erfahreneren Kolleginnen zusammen, um sich über den Wiedereinstieg nach der Elternzeit auszutauschen. Es haben sich auch einige der sogenannten „Affinity-Groups“ an den deutschen Standorten etabliert, die ursprünglich aus den USA kommen. Etwa die Gruppe Women@Amazon, die sich für Diversity im Allgemeinen, aber verschiedenste weibliche Belange im Speziellen einsetzt, oder die „Amazon Women in Engineering“, die Frauen in technischen Berufen bei Amazon fördern will.
Braucht es dann heutzutage überhaupt noch Initiativen von außen, wie eine Frauenquote oder den Internationalen Frauentag, oder würdest du sagen, dass Frauen es aus der aktuellen Situation heraus auch gut alleine schaffen?
Beim Blick in die Führungsebenen der allermeisten Unternehmen sprechen die Zahlen eine klare Sprache: Auf dem Einstiegslevel ist das Geschlechterverhältnis oft ausgewogen, aber je weiter man in der Hierarchie nach oben schaut, desto weniger Frauen gibt es in entscheidenden Führungspositionen. Amazon bildet da leider keine Ausnahme. Darum braucht es Initiativen, das Engagement vieler und Aktionstage wie den internationalen Frauentag, um ein Bewusstsein für bestehende Ungleichheiten zu schaffen und diese zu überwinden. Ich freue mich, dass Amazon klar Stellung bezieht und das Ziel verfolgt, eine größere Ausgewogenheit auf allen Ebenen zu erreichen. Dieses Ziel gefällt mir besser, als den Begriff „Quote“ zu verwenden. Frauen wollen verdientermaßen für ihre Leistungen honoriert und befördert werden und sich nicht als Quotenfrau abgestempelt fühlen, bei der die Leistung in den Hintergrund tritt.
Welche Tipps hast du für junge Frauen wie mich, die am Beginn ihrer Karriere stehen?
Sei mutig, spring ins kalte Wasser und probiere aus, was dir gefällt! Mein Tipp ist wirklich, loszulegen und Erfahrungen zu sammeln, statt lange zu zaudern und nach dem vermeintlich perfekten Job zu suchen. Oft erkennt man doch erst mitten im Geschehen, was einem Spaß macht und worin man wirklich gut ist. Hab nicht zu viel Angst, etwas nicht zu schaffen. Ich habe mittlerweile schon oft die Position gewechselt und war mir jedes Mal unsicher, ob ich der neuen Aufgabe wirklich gewachsen bin. Umso schöner war es dann festzustellen, was ich alles schaffen kann. Man muss mutig sein, sich neuen Herausforderungen stellen – auch wenn dies garantiert mal ungemütlich und anstrengend sein kann – und am Ball bleiben. Dann kannst du auch die Lorbeeren für deine Arbeit ernten. Ich finde es super, dass die beruflichen Rahmenbedingungen für Frauen immer besser werden – aber das aktive Zugreifen und Gestalten gehört auf jeden Fall auch dazu.