Überschüssige Ware bei Herstellern und Händlern einzusammeln und sie an soziale Einrichtungen zu vermitteln, ist der Grundgedanke hinter der gemeinnützigen Organisation innatura. Amazon unterstützt innatura bereits seit 2013. Dr. Juliane Kronen, Gründerin und CEO von innatura, erklärt im Interview die Arbeit der Organisation, ihren Beitrag für die Umwelt und politische Hürden.

Frau Kronen, ganz kurz: was macht innatura?
Die innatura ist ein innovatives und gemeinnütziges Sozialunternehmen. Wir vermitteln bedarfsgerecht Sachspenden in den sozialen Sektor. Wir bekommen von Händlern und Herstellern einwandfreie Produkte als Sachspenden, die aus den verschiedensten Gründen nicht mehr für den Markt bestimmt sind. Diese Produkte kommen in unser Zentrallager in Köln, werden in einen Online-Katalog gestellt und können von gemeinnützigen Organisationen in ganz Deutschland bestellt werden – in den gebrauchten Mengen zum richtigen Zeitpunkt.

Unser Ansatz hat einen doppelten Nutzen: Empfängerorganisationen sparen eine Menge Geld, die sie zur Absicherung oder gar zum Ausbau ihrer sozialen Arbeit verwenden können. Und die Umwelt wird entlastet, weil Produkte nicht unnötig entsorgt werden. Übrigens arbeiten wir als Mitglied im In Kind Direct International Network unter der Schirmherrschaft des britischen Thronfolgers mit ähnlichen Organisationen in Großbritannien, Frankreich und Singapur daran, das Potential von Produktspenden zu entwickeln.

Welche Kosten entstehen dabei für die Empfängerorganisationen?
Sie bezahlen lediglich eine Vermittlungsgebühr, die in der Regel zwischen 5 und 20 Prozent des Warenwertes ausmacht. Diese Vermittlungsgebühr ist notwendig, um einen Teil unserer Betriebskosten zu decken.

Betrifft das Phänomen der Warenentsorgung nur den Online-Handel?
Nein, auch wenn die aktuelle Diskussion sich auf den Online-Handel fokussiert, muss man das Gesamtbild verstehen: Produkte werden entlang der gesamten Wertschöpfungskette entsorgt – und das beginnt bereits mit der Produktion. Die Gründe sind vielfältig, warum Produkte nicht mehr verkauft werden können: Fehletikettierungen, Minderbefüllungen oder Farbabweichungen in der Produktion, Übermengen, defekte Umverpackungen, Saisonartikel, Standortschließungen, oder Retouren – die es im übrigen auch im stationären Handel gibt. Die Mehrzahl dieser Produkte ist völlig einwandfrei und daher für den sozialen Sektor geeignet. Wenn ein Filialist z.B. Sonnenmilch nicht genügend absetzt, weil der Sommer kühl war, können diese Produkte häufig an den Hersteller zurückgegeben werden, der sie dann entsorgt.

Frau Kronen von Innatura
Foto von Karin Desmarowitz

Wer sind Ihre Spendenunternehmen?
Über 100 Unternehmen haben innatura bislang ihre Produkte zur Vermittlung an gemeinnützige Organisationen anvertraut. Darunter finden sich bekannte Namen der Konsumgüterbranche, aber auch viele kleine und inhabergeführte Unternehmen. Unsere größten Spender sind Beiersdorf, Amazon, Procter & Gamble oder CP Gaba (v.a. Körperpflege), aber auch STAEDTLER (Buntstifte und Bastelzubehör) und Händler. Amazon ist seit dem Start von innatura 2013 dabei.

Als unseren zweitgrößten Spender verdanken wir Amazon die Sortimentsbreite von innatura – wir können in unserem aktuellen Katalog über 1.200 verschiedene Artikel anbieten, von der Akku-Bohrmaschine bis zur Zahnpasta. Ohne diese Sortimentsbreite, die uns für gemeinnützige Empfängerorganisationen besonders interessant macht, wäre innatura langfristig nicht überlebensfähig. Einige unserer Spenderunternehmen sind von der Spendenmöglichkeit so überzeugt, dass sie die Option auch für ihre Lieferanten und Händler öffnen. So bietet Amazon seinen unabhängigen Händlern jetzt auch die Möglichkeit, ihre Produkte innatura direkt als Spende anzubieten.

Warum spenden Unternehmen nicht mehr?
Der wichtigste Grund ist, dass die steuerliche Behandlung von Sachspenden das Spenden in Deutschland teurer als die Entsorgung macht. Spenderunternehmen müssen den gespendeten Wert als Umsatz verbuchen – und damit Umsatzsteuer entrichten, die durch die Spendenquittungen nur teilweise kompensiert wird.

Bei einer Entsorgung hingegen kann der Wert der Produkte abgeschrieben und die Entsorgungskosten als Betriebskosten abgesetzt werden. Zwei von drei Unternehmen, die sich bei innatura nach Spendenmöglichkeiten für ihre nicht mehr für den Markt bestimmten Produkte erkundigen, entscheiden sich bedauerlicherweise letztendlich gegen eine Spende – weil sie ihnen zu teuer ist. innatura engagiert sich seit Gründung gegen diesen rechtlichen Schiefstand, der aus umwelt- und gesellschaftspolitischer Sicht dringend korrigiert werden sollte.

Wie könnte eine politische Lösung aussehen?
Wir fordern seit langem eine Lösung, die das Spenden von Produkten nicht teurer als ihre Entsorgung macht und spendenwillige Unternehmen nicht mehr finanziell bestraft. Wir sollten die richtigen Anreize setzen und Produktspenden an gemeinnützige Organisationen vollständig von der Umsatzsteuer befreien. Hierzu hat innatura zusammen mit Ernst & Young und dem bevh Vorschläge gemacht. Jetzt ist aus meiner Sicht die Politik am Zug – mit dem entsprechenden politischen Willen lässt sich eine bundesweit geltende und für Spenderunternehmen rechtssichere Lösung schaffen, die ohne administrativen Mehraufwand umsetzbar ist. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch.

Drohen mit der Umsatzsteuerbefreiung nicht Steuerausfälle?
Da die nicht gespendeten Produkte ja entsorgt und nicht etwa verkauft werden, entgehen dem Staat weder Ertrags- noch Umsatzsteuern – höchstens für die entfallenden Entsorgungsleistungen. Die auf dem Tisch liegende Lösung würde also keine Steuergelder kosten – und würde dazu führen, dass langfristig alle Unternehmen eine echte Wahl hätten, zu spenden und damit Gutes für Gesellschaft und Umwelt zu tun.