Ralf Herbrich, Managing Director des Amazon Development Centers Deutschland und Director Machine Learning
Die Deutsche Unternehmerbörse (DUB), das Portal für Unternehmer, Gründer und Investoren vom Handelsblatt, hat 13 Exklusivinterviews mit Top Managern zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) geführt. Diese bieten exklusive Einblicke, wie KI-Anwendungen Unternehmen und Sparten verändern. Ralf Herbrich, Director Machine Learning bei Amazon, beobachtet eine steigende Akzeptanz für Künstliche Intelligenz in Wirtschaft und Wissenschaft – sowie im Alltag der Menschen. Hier sein Interview im Wortlaut.
Teilen Sie die Meinung von Experten, dass Künstliche Intelligenz – kurz KI – die nächste technische Revolution auslösen kann?
KI hilft uns Menschen, auf Basis von Analysen großer Datenmengen bessere Entscheidungen zu treffen. Mein Eindruck ist: Es ist inzwischen ein Bewusstsein dafür entstanden, dass KI einen echten Mehrwert bieten kann.
Werden ganz neue Jobs entstehen und neue Bedürfnisse befriedigen, so dass wir durch mehr Wohlstand von der technologischen Entwicklung profitieren werden?
Im Feld der Künstlichen Intelligenz und des Maschinellen Lernens – kurz ML – entstehen viele neue Jobmöglichkeiten für hochqualifizierte Fachkräfte, insbesondere aus den Bereichen IT, Statistik, Mathematik und Physik. Übrigens übernimmt ML bei Amazon auch interne Aufgaben und macht Tätigkeiten dadurch interessanter. In der Finanzabteilung zum Beispiel werden große Teile des Controllings und der Planung von ML unterstützt, so dass Manager mehr Freiraum haben, die Geschäftsentwicklung voranzutreiben.
Wird in einer veränderten Arbeitswelt die menschliche Arbeitskraft überflüssig?
Wir glauben nicht, dass menschliche Arbeit überflüssig wird, im Gegenteil: Viele Jobs werden sehr viel interessanter. Aufgrund des technischen Fortschritts können Routinearbeiten von Maschinen übernommen werden. Das öffnet Raum für Kreativität und gibt uns Zeit, anspruchsvolle Aufgaben zu übernehmen. Unsere Jobs werden sich verändern.
Laut der Unternehmensberatung Forrester sind viele Unternehmen (noch) von KI-Anwendungen überfordert. Sie wissen schlichtweg nicht, welches Problem sie mithilfe künstlicher Intelligenz lösen sollen. Trifft das auch auf Ihr Unternehmen zu?
Nein, für uns bei Amazon ist Künstliche Intelligenz und insbesondere Maschinelles Lernen integraler Bestandteil des Geschäfts. KI ermöglicht Amazon, die Kundenzufriedenheit noch weiter in den Mittelpunkt zu stellen. Amazon kann Preise reduzieren, weil mittels Nachfrageprognose Lagerkosten eingespart werden. Amazon kann durch automatische Übersetzung von Produktinformationen die Vielfalt der Produktauswahl für Kunden erhöhen, insbesondere in Europa, wo weit über 20 Sprachen gesprochen werden. Und das Unternehmen kann seine Umweltbilanz verbessern, indem Nahrungsmittelabfälle durch automatische Reifegradeinschätzung von Frischwaren reduziert werden. Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, welchen Stellenwert KI schon heute für Amazon hat – und wir gehen davon aus, dass diese Entwicklung so weitergehen wird.
Brauchen wir bald eine Robotersteuer oder ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Die Frage ist doch: Erwarten Sie, dass technischer Fortschritt einen positiven Einfluss auf die Menschheit haben wird oder nicht? Da sagen wir ganz eindeutig: Technologie verbessert das Leben der Menschen. Wir müssen natürlich permanent lernen und uns anpassen, aber hier in Europa, mit dem hohen Bildungsstandard, sind wir in einer guten Position, den Möglichkeiten der Zukunft offen entgegenzusehen.
Kommt bei Ihnen bereits Künstliche Intelligenz zum Einsatz? Wenn ja, wo?
Erstens, Nachfrageprognose: Systeme können vorhersagen, wie viele T-Shirts diesen Sommer bei Amazon gekauft werden. Zweitens, Spracherkennung mit Alexa: Das System kann etwa Taxis bestellen, Musik abspielen – und versteht mich besser als meine Kinder. Drittens, der faulen Erdbeere auf die Spur kommen: Amazon arbeitet daran, digital zu erkennen, wie lange Frischware noch hält. Was bedeutet das für unsere Kunden? Günstigere Preise, weil nicht zu viel vorrätig gehalten wird und so Kosten gesenkt werden. Schnellere Lieferung, weil die lokale Nachfrage geschätzt und Güter regional gelagert werden können. Mehr Auswahl, weil etwa Produktbeschreibungen aus dem Ausland automatisch übersetzt werden. Und generell: mehr Komfort, beispielsweise durch Sprachsteuerung über Alexa.
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Mitarbeiter den Herausforderungen durch KI gewachsen sind? Welche Rolle spielt Bildung dabei?
Amazon ist ein Innovationsunternehmen: Jeder Mitarbeiter versteht sich als Unternehmer, dessen Aufgabe es ist, kühne Ideen zu entwickeln. Der Umgang mit Technologie ist dabei absolut selbstverständlich – und Experimentieren und Ausprobieren ausdrücklich erwünscht. Denn was Amazon ausmacht, ist die Bereitschaft, Risiken einzugehen und auch Fehler zu machen; der dauernde Wille, ständig etwas Neues zu erfinden und zu entwickeln. Darüber hinaus bieten wir seit mehreren Jahren allen Mitarbeitern die Möglichkeit, ein eintägiges ML Bootcamp zu absolvieren – egal, ob sie in Seattle, Berlin oder Bangalore arbeiten. Tausende von Mitarbeiter haben dieses Angebot schon wahrgenommen.
Kann Ihr Unternehmen den enormen Aufwand für KI-Anwendungen komplett selbst stemmen oder setzen Sie auf Kooperation, beispielsweise mit Start-ups oder etablierten Anbietern von Cloud-Services?
Mit Amazon Web Services (AWS) steht Amazon eine umfangreiche Cloud- Infrastruktur für die Entwicklung von KI zur Verfügung.
Verfügen Sie über ausreichend qualifiziertes Personal, um intern entsprechende Prozesse und Schnittstellen abbilden zu können?
In unseren Entwicklungszentren arbeiten einige der besten Wissenschaftler in diesem Feld. Dazu gehören primär Informatiker und Physiker. In Deutschland ist Berlin ein wichtiger Standort. In Seattle und Bangalore sind ähnlich ausgerichtete Entwicklungszentren angesiedelt. Zusätzlich arbeiten Standorte in Cambridge (UK) und Los Angeles im Bereich Künstliche Intelligenz.
Wie begegnen Sie der Angst vor Datenmissbrauch? Wie sichern Sie Ihr Unternehmen gegen Hacker ab?
Grundsätzlich ist Amazon die Privatsphäre des Kunden sehr wichtig. Deshalb haben wir ausgeklügelte technische und physische Maßnahmen entwickelt, um unautorisierten Zugang zu System zu verhindern. Ein Team aus hochqualifizierten Sicherheitsexperten überwacht die Daten der Kunden rund um die Uhr und sichert deren Privatsphäre.
Ist eine „starke KI“, also Computer mit eigenem Bewusstsein, realistisch und moralisch vertretbar?
Ein Kind lernt in den ersten zwei Lebensjahren aus etwa 500 Millionen Bildern. Daraus könnten Rechner heute nicht einen einzigen Algorithmus entwickeln, der ähnlich wie ein Zweijähriger beliebige Objekte erkennt. Wir sind weit davon entfernt, dass Maschinen schneller lernen als Menschen. Die Lernverfahren brauchen 10.000- bis 100.000-mal mehr Daten als eine Person. Wir sprechen also über ein mehr theoretisches Gedankenmodell, wenn wir fragen, ob Maschinen die Intelligenz von Menschen erreichen können.